Genial digital?

© Pixel-Shot - stock.adobe.com

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Lockdowns und Schulschließungen bescherten Schüler-, Eltern- und Lehrerschaft in den letzten zwei Schuljahren mannigfaltige Erfahrungen mit digitalen Möglichkeiten bzgl. Unterrichtsgestaltung, Kommunikationswegen und Datentransfer im Kontext Schule. Inzwischen herrscht zwar wieder Präsenzbeschulung, doch die Erlebnisse dauern an. So prägten das vergangene Schuljahr Corona-Infektionen und nachgelagerte Infekte, Unterrichtsausfälle, Quarantänen auf Schüler- wie Lehrerschaftsseite. Hinzu kamen psychosomatisch bedingte Fehlzeiten, die den umfangreichen Ausfallzeiten und Lernlücken in Verbindung mit beständigem Zensurenwahn geschuldet waren. Inwieweit konnten neu implementierte digitale Werkzeuge hier unterstützen? Hybridbeschulung, Online-Sprechstunden, geführte Tutorials, Lernsax usw. sind doch inzwischen Routine oder? Und wie sieht es in den Klassenzimmern aus, kommen dort digitale Medien erleichternd zum Einsatz?

Die Antworten darauf sind heute ebenso verschieden wie zu Beginn der Corona-Pandemie bzw. während der Schulschließungen: je nach Schule und Lehrperson mal mehr, mal weniger. Nicht selten wurde zum Modus zurückgespult, der vor Corona bestand und das einzige Relikt der digitalen Wandlung stellt Lernsax dar. Dieses scheint sich als internes Kommunikationsmittel an staatlichen Schulen etabliert zu haben. Schüler-, Lehrer- und Elternschaft haben sich mit der Plattform arrangiert, auch wenn in Gesprächen mit Eltern über Lernsax auffallend oft das Adjektiv sperrig fällt. Eltern mit mehreren Schulkindern jonglieren mit den vielen Einzelzugängen, deren Kopplung zwar möglich ist, sich aber herausfordernd gestaltet. Schulinterne Mitteilungen, Schulleiterbriefe, Elternratsprotokolle werden in Lernsax hinterlegt und Lehrende nutzen es sporadisch zur Bereitstellung zusätzlichen Materials, z. B. für Übungsaufgaben oder Lösungen vor Klassenarbeiten. Für dem Unterricht fernbleibende Kinder und Jugendliche wäre das Einstellen kurzer Abrisse des versäumten Unterrichtsmaterials, von Tafelbildern und Arbeitsblättern eine elegante und effiziente Lösung. Denn vor allem bei längerer Krankheit/ Quarantäne wird dem Hausaufgabenpartner, so er nicht selbst noch erkrankt, enorme Verantwortung und Ausdauer abverlangt. Gerade Genesene müssen alsdann erhebliche Anstrengungen unternehmen, den noch fehlenden Informationen hinterherzujagen, was ihren Nachholdruck noch zusätzlich erhöht. Fotos von Tafelbildern dürfen allerdings nur nach persönlicher Erlaubnis des Lehrenden aufgenommen werden. Dennoch gibt es natürlich engagierte Lehrpersonen, die trotz Ihrer zeitlichen Auslastung versuchen, Erkrankten den Stoff zeitnah zukommen zu lassen. An einigen Schulen, vor allem freien Trägern, gibt es bereits Vorgaben, wann und wie Unterrichtsinhalte für die gesamte Schüler-, Eltern-, Lehrerschaft sichtbar und verfügbar gemacht werden sollen. Vertretungslehrpersonen haben damit ebenfalls sofort im Blick, wo sie anknüpfen können. In Vorausschau auf den kommenden Herbst bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Schulen intern Regelungen hierzu treffen.

Insgesamt haben die Möglichkeiten der Einbindung digitaler Medien in den Schulalltag in den letzten zwei Jahren an Vielfältigkeit enorm zugenommen. Gelebt wird von der freien Nutzung eigener oder Leih-Tablets, über Lernquiz, Online-Wiederholungsabfragen, interaktive Aufgaben, digitale Klassenbücher, Stundenpläne und Notenstände, gelegentliche Lehrvideos, App-basierte open-documents und Mindmaps bis zur rudimentären pdf-Datei per Mail alles. Stets in Abhängigkeit der Affinität des jeweiligen Lehrenden oder expliziter Anweisungen durch die Schulleitung. Wobei auch die Haltung der Eltern, Lehrenden und Schulleitungen äußerst unterschiedlich ausfällt. Rufe von Schulleitungen nach zentralen, einheitlichen Vorgaben durch das Land sind ebenso wie die Betonung der freien Entscheidungshoheit der Schulen diesbezüglich wahrnehmbar. Zudem steht nicht jede Lehrperson der Einbindung digitaler Medien positiv gegenüber. Es wird der Verlust haptischer Eindrücke und der Bedeutung des Lehrerstandes angemahnt. Doch je mehr Kinder und Jugendliche selbsttätig Wissen erwerben, umso bedeutsamer wird die Begleitung, Lenkung und Reflektion über die Lehrerschaft. Als positiver Nebennutzen wurde in diesem Zusammenhang sogar ein durch selbstständige Schülerarbeitszeit entstehender Zeitgewinn ins Feld geführt, welcher unmittelbar für die individuelle Schülerbetreuung genutzt werden. Nicht zuletzt haben einige Eltern Sorge, die ohnehin umfangreiche Handy-/Tablet-Zeit nun auch noch in der Schule auszubauen. Mehr Medienbildung der eigenen Kinder wünschen sie sich dennoch über den Schulunterricht, am besten über ein eigenes Unterrichtsfach. Kinder und Jugendliche zeigen sich in der Regel jedweder Nutzung digitaler Medien aufgeschlossen, so sie nicht in der zeitraubenden Fahndung nach der Bio-Hausaufgabe in den Tiefen von Lernsax enden. Trotz aller Experimentierfreude und Neugier betonen sie dennoch, den persönlichen Kontakt und die Interaktion mit ihren Lehrern und Lehrerinnen nicht missen zu wollen.

Dank Corona rückten digitale Medien im Schulunterricht ins Interesse von Schüler-, Eltern-, Lehrerschaft und Öffentlichkeit und es entstand der Anschein, es handele sich hierbei um eine brandneue Entwicklung auf dem Gebiet der Didaktik. Tatsächlich verabschiedete die Kultusministerkonferenz (KMK) bereits 2012 eine Erklärung zur Medienbildung in der Schule [1], welche diese als „Lernen mit Medien und Lernen über Medien“ beschreibt. Die „Förderung der Qualität des Lehrens und Lernens durch Medien“ markiert nur eines der dort formulierten Handlungsfelder und öffnet bereits den Blick für weitere Möglichkeiten in Richtung mehr Bildungsgerechtigkeit. 2016 erschien der Beschluss „Kompetenzen in der digitalen Welt“ [2] der KMK, welche von Suchstrategien über Datensicherheit bis zu digitalen Lernmöglichkeiten Schülerkompetenzen aufzeigt und durch das Sächsische Staatsministerium für Kultus (SMK) 2017 in eine eigene Konzeption [3] gefasst wurde. Sie liest sich wie der sehr umfangreiche Lehrplan eines bisher nichtexistierenden Unterrichtsfachs Medienbildung über mindestens drei Schuljahre und führt alle Fähigkeiten und Fertigkeiten auf, die unsere Lehrer zur Bewältigung der Corona-Herausforderungen hätten gebrauchen können. Nicht wenige haben sich ein Studienfach dieses Inhalts sicher gewünscht, inzwischen ist es Teil des Lehramtsstudiums in Sachsen (SMK-Blog, [4]). Und dies tut auch Not, denn im kürzlich erschienen Bildungmonitor 2022 des Instituts der deutschen Wirtschaft erzielte Sachsen zwar insgesamt das beste Ergebnis, belegte im Bereich Digitialisierung jedoch nur den 13. Platz (von 16). In Resonanz verkündete Minister Piwarz, spätestens bis zum Ende der Laufzeit des Digitalpaktes Schule, also Ende 2024, sollen an jeder Schule die digitalen Medien selbstverständlich im Unterricht sinnvoll eingesetzt werden [4]. Doch noch immer wurden nicht alle bestellten Endgeräte wie interaktive Tafeln, Computer, Laptops, Tablets geliefert bzw. angeschlossen. Zudem ist neben dem geplanten Ausbau der Netzanbindung der Schulen die Verbesserung des WLANs innerhalb der Gebäude essentiell und oftmals nur in Verbindung mit baulichen Eingriffen zu realisieren. Dies obliegt den kommunalen Zuständigkeiten und befindet sich in Bearbeitung, wie der Kreiselternrat Dresden erläutert. Er verfolgt als Gremium der Eltern engagiert die Maßnahmen im Raum Dresden und hebt noch einmal hervor, wie bedeutsam auch die Betreuung des Hardwarepools mitsamt Software ist. Über die Zusatzvereinbarung Administration zum Digitalpakt Schule konnten bis Juli 2021 ebensolche IT-Administratoren von den kommunalen Trägern beantragt werden. Um die nötige Kompetenz der Lehrerschaft zu gewährleisten, wurden und werden vielfältige Weiterbildungen vom Land angeboten. Das Landesamt für Schule und Bildung konzipierte sogar den informativen, kurz-knackigen GrundschulFächer-digital – passenderweise zum kostenlosen Download und mit weiterführenden QR-Codes [5]. Auch für Lehrende weiterführender Schulen, die einen ersten Überblick suchen, lohnt sich ein Klick – oder für interessierte Eltern. Doch bundesweit ist ebenfalls Bewegung. Das BMBF unterstützt die „Initiative digitale Bildung“ [6] sowie das „Netzwerk digital“ [7], welche zahlreiche Veranstaltungen und Foren zum Austausch, aber auch Handreichungen anbieten sowie das „Projekt Schultransform“ [8], das Schulen bei ihrer digitalen Transformation beraten und begleiten soll. Zusätzlich sind sämtliche Schulbuchverlage mit eigens entwickelten Konzepten, Plattformen und Kursen sowie zahlreiche private Organisationen am Werk und bieten Informationen und Weiterbildung. Diese Vielfalt ist so umfangreich wie unübersichtlich. In Anbetracht des permanenten und chronischen Zeitmangels der Lehrerschaft, zur Überwindung von Hemmschwellen sowie zur Motivation wäre womöglich eine wöchentliche Mail mit kurzem fünfminütigem Einführungsquickie in die verschiedenen vom Land gestellten Plattformen oder mit erprobten Unterrichtsgestaltungstipps sinnvoller. Wie Lehrkräfte zielgerichtet Medienkompetenz entwickeln können, erforscht das Projekt „Unterrichten mit digitalen Medien in Sachsen – UndiMeS“, welches an der TU-Dresden und der Universität Leipzig angesiedelt ist [9]. Es hat die Konzeption einer (natürlich) online, selbstgesteuerten, kooperativen Lehrerfortbildung für den erfolgreichen Einsatz digitaler Medien im Unterricht zum Ziel. Denn als Rechtfertigung hierfür wird neben der Ausbildung adäquater Medienkompetenz stets ein Mehrwert für den Lernprozess der Schülerschaft gefordert. Zu diesem auch als „technology-enhanced learning“ bezeichneten pädagogischen Spezialgebiet wird seit Jahrzehnten geforscht. Es bescheinigt der Einbindung digitaler Unterrichtsmedien zumindest zusammenfassend, besonders aber in den naturwissenschaftlichen Fächern, einen positiven Mehrwert, der allerdings von zahlreichen Faktoren abhängt und weiteren Forschungsbedarf nach sich zieht [10].
Nichts desto trotz durchwebt die Digitalität bereits jetzt unsere Wirklichkeit. Und Schulen sind ein eminenter Teil der Wirklichkeit unserer Kinder. Mehr Argument braucht es da eigentlich nicht, beides zeitnah miteinander zu verbinden.
Es bleibt also alles in Bewegung, viel zu tun, aber auf jeden Fall spannend und digital!

Literaturquellen (abgerufen am 25.08.2022):
[1] https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2012/2012_03_08_Medienbildung.pdf
[2] https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2017/KMK_Kompetenzen_-_Bildung_in_der_digitalen_Welt_Web.html
[3] https://www.medienbildung.sachsen.de/download/Kompetenzrahmen_Medienbildung_SMK_Uebersicht.pdf
[4] https://www.bildung.sachsen.de/blog/index.php/2022/08/16/sachsens-bildungssystem-bleibt-spitze-in-deutschland-weitere-kraftanstrengungen-bei-der-digitalisierung-der-schulen-notwendig/
[5] https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/38051
[6] https://www.bmbf.de/bmbf/de/bildung/alle-informationen-zum-digitalen-lehren-und-lernen/alle-informationen-zum-digitalen-lehren-und-lernen_node.html
[7] https://www.netzwerk-bildung-digital.de/
[8] https://www.bildung-forschung.digital/digitalezukunft/de/bildung/schule/dialogforum-schultransform/dialogforum-schultransform-2022.html?nn=240210
[9] https://tu-dresden.de/codip/projekte/projektoverview/undimes?set_language=de
[10] Schreiter, K.: Lernen und Lehren mit digitalen Medien: Eine Standortbestimmung. ZErziehungswiss (2021) 24:1039–1060
(https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s11618-021-01047-y.pdf)

Susanne Heuer · 23.09.2022


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