Schwangerschaft & Baby

Tragen oder Kinderwagen?

Norbert Lorenz · 17.10.2023

Fotolia A.Babicius & I.Belcikova

Fotolia A.Babicius & I.Belcikova

 

In allen Zeiten wurden Kinder irgendwie befördert. Bekannt sind beispielsweise die Babytragen (Cradleboards) der Prärie-Indianer. Babys in Kinderwagen zu transportieren, ist hingegen eine vergleichsweise moderne Erfindung. Oberarzt Norbert Lorenz gibt uns einen Exkurs in der Geschichte verschiedener Baby-Fortbewegungsmaßnahmen.

 

In allen Zeiten wurden Kinder irgendwie befördert. Bekannt sind beispielsweise die Babytragen (Cradleboards) der Prärie-Indianer. Weltweit weitverbreitet sind Tragetücher, bei denen das Kind meist auf der Hüfte der Mutter sitzt. In Asien verwenden viele Völker den Mei Tai, ein viereckiges Stück Stoff mit vier Bindebändern an den Ecken – das Vorbild unserer modernen Babytragen.

Babys in Kinderwagen zu transportieren, ist hingegen eine vergleichsweise moderne Erfindung: Mitte des 16. Jahrhunderts baute ein englischer Tischler einen Transportwagen für ein einjähriges Kind. Zunächst wurden vorwiegend Wägelchen für Kinder, die schon sitzen konnten, gebaut. Es dauerte noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts, bis es in der reichen Oberschicht in England Mode wurde, Säuglinge im Kinderwagen auszufahren. 1850 wurde schließlich der erste deutsche Säuglingskinderwagen in Zeitz produziert. Mit der zunehmenden Verbreitung von Kinderwagen für Säuglinge, ging im euroamerikanischen Raum ein Paradigmenwechsel im Bindungsverhalten von Mutter und Kind einher. Untersuchungen der Entwicklungspsychologin Heidi Keller aus Osnabrück zeigen sehr schön, dass deutsche Babys früh lernen, zum Beispiel im Kinderwagen, mit sich allein zu sein. Die Bindung der deutschen Mutter beruht auf viel Sprache und wenig körperlicher Berührung. Das deutsche Baby liegt typischerweise auf dem Rücken, hält eventuell Blickkontakt mit der Mutter. Spielzeug wird über das Baby „gestülpt“.

 

Im Gegensatz dazu zeigte Heidi Keller, dass etwa Babys in einer traditionellen Bauernfamilie in Kamerun fast immer am Körper getragen werden und so viel Körperkontakt halten. Durch den engen Körperkontakt erfahren diese Mütter viel über die Körperfunktionen ihrer Kinder. Wie in allen Kulturen, in denen das Baby getragen wird, wird ein Baby in Kamerun in aufrechter Stellung getragen. So kann es seine Umwelt mit den Augen wahrnehmen. Zudem übertragen sich die Bewegungen der tragenden Person auf das Becken des Kindes. Zugleich kommt es zu einer Bewegung des Kindes relativ zur Umgebung, in etwa der gleichen Form wie sich beim Reiten die Landschaft vor den Augen des Reiters auf und ab bewegt. Die entstehenden Impulse in den Muskeln und Nerven des Kindes verbessern die Entwicklung der Haltungs-, Gleichgewichts und Stützreaktionen und stimulieren gleichzeitig die Muskelspannung des Säuglings. Ganz so, wie dies bei einem Patienten durch den Schritt des Therapiepferdes in der Reittherapie erfolgt.

 

Es ist daher nicht verwunderlich, dass Babys in Kamerun in ihrer grobmotorischen Entwicklung deutschen Babys weit voraus sind. Babys in Kamerun sitzen bereits mit drei Monaten und können schon mit sechs Monaten laufen. Deutsche Babys sind hingegen in allen Dingen besser, die in Rückenlage passieren, sie können beispielsweise problemlos den Fuß in den Mund stecken. Mütter aus Kamerun, denen Videos deutscher Babys gezeigt wurden, fragten sich allerdings, ob diese Babys krank und zurückgeblieben seien.

 

Das Tragen der Babys in Tragetüchern oder den vom Mei Tai abstammenden Babytragen haben einen weiteren großen Vorteil: In ihnen sitzt das Kind in einer Anhockspreizhaltung mit natürlich rundem Rücken. So werden nicht nur Eltern-Kind-Bindung und die Entwicklung der natürlichen Wirbelsäulenform gefördert, die Anhockspreizhaltung des Säuglings wirkt sich auch günstig auf die Ausbildung des Hüftgelenkes aus. Zusammenfassend spricht vieles dafür, zu unseren Wurzeln zurückzukehren und ein Baby möglichst häufig und mit viel Körperkontakt in einem Tragetuch oder in einer Mei-Tai-Trage mit sich herumzutragen. Wird das Kind größer, schwerer und selbständiger, spricht natürlich nichts gegen einen Buggy-Wagen oder andere, ähnliche Transportmittel.

 

Zum Schluss noch ein wichtiger Rat: Auch beim Tragen, sollte man besonders bei jungen Säuglingen jedoch immer darauf achten, dass deren Gesicht stets frei liegt und nicht durch Stoff oder Körper der Eltern überdeckt ist. Nach dem Stillen sollte das Baby wieder in eine aufrechte Position mit frei liegendem Mund gebracht werden.

 

Tags: Kinderwagen , Tragehilfen

Kategorien: Schwangerschaft & Baby , Ratgeber

© 2024 Kind + Kegel WORTGEWAND GmbH