Ratgeber

Kinder trauern anders

Kathleen Hänel · 06.09.2023

Foto: AdobeStock, Africa Studio

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Lange saßen sie dort und hatten es schwer.
Aber sie hatten es gemeinsam schwer
und das war ein Trost.
Leicht war es trotzdem nicht.

Aus „Ronja Räubertochter“
von Astrid Lindgren

 

Der Verlust eines geliebten Menschen trifft das Leben eines Kindes ebenso wie uns Erwachsene. Manchmal scheint es aber verwirrend, wenn Kinder auf die Nachricht des Todes einer nahestehenden Person erstmal keine bedeutende Reaktion zeigen. Denn Kinder trauern anders – und brauchen in ihrer Trauer vor allem liebevolle Unterstützung, Wahrheit, Klarheit und einfache Antworten.

Trauer ist eine Reaktion eines Menschen auf alle für ihn bedeutenden Verluste – und dazu können auch Haustiere gehören. Kinder trauern in Phasen – man könnte es sich vorstellen, als würden sie von Pfütze zu Pfütze springen, denn in manchen Momenten spielen Kinder dann ausgelassen und fröhlich, im nächsten Moment können sie große Traurigkeit oder Wut zeigen. Hinter der Wut steckt oft ein Gefühl der Ohnmacht, ein Gefühl nichts gegen den Verlust des Menschen oder Haustieres tun zu können. All diese Reaktion sind notwendig und gesund.

Die Trauer der Kinder findet je nach Altersphase einen anderen Ausdruck. Kinder im Baby- und Kleinkindalter haben noch keine Vorstellung von der Endlichkeit des Lebens, auch weil Ihnen das Gefühl für Zeit noch gänzlich fehlt. Trotz dessen bemerken sie, dass sich die Atmosphäre in ihrem Umfeld ändert und dass eine nahestehende Person nicht mehr da ist. Ihre Trauer findet in eher unspezifischen körperlichen Anzeichen Ausdruck: vermehrtes Weinen, Bauchschmerzen oder (Ein-) Schlafstörungen. Was ihnen hilft ist besonders viel Körpernähe, halten, kuscheln, streicheln und wie in allen Altersgruppen feste, vorhersehbare Rituale und Tagesstrukturen. Sie geben dem Kind das Gefühl von Sicherheit und Kontrollierbarkeit. Kinder im Vorschul- und Grundschulalter entwickeln immer mehr eine Idee davon, dass das Leben immer mit dem Tod verbunden ist und bekommen mehr Gefühl für die Endgültigkeit des Todes. Die Trauerreaktionen können sich auch hier in verstärkten Trennungsängsten, aber auch in Entwicklungsrückschritten (Bettnässen, Daumenlutschen, Nägelkauen) zeigen. Eine weitere Trauerreaktion kann auch das Auftreten übertriebener Albernheit oder Wut und Aggression sein – gegen sich und andere. Viele Kinder haben mehr Ängste vor dem Verlust eines Elternteils oder einer geliebten Person. Auch kann es vorkommen, dass Kinder ihre Traurigkeit zurückhalten, weil sie die Eltern oder den verbliebenen Elternteil beschützen und nicht noch mehr belasten möchten - nach dem Motto: ‚Ich darf jetzt nicht traurig sein, weil Mama schon so traurig ist.‘  Manche älteren Kinder oder Jugendlichen brauchen weniger Körperkontakt, vielmehr wünschen sie sich Erwachsene die zuhören, ehrlich auf ihre Fragen antworten und einen Ort, an dem sie Trauer zeigen dürfen. Wenn reden nicht hilft oder ausreicht, bieten sich auch kreative Methoden an: Das Malen von Bildern oder Karten für sich oder den Verstorbenen oder das Gestalten einer Kerze, welche dann auf die Grabstelle gestellt werden kann, sind Möglichkeiten. Kinder, die schon schreiben können, könnten ermutigt werden, dem Verstorbenen einen (oder mehrere) Brief zu schreiben, welche dann zum Grab gelegt oder in der Erde vergraben werden können. Auch Erwachsene, die trauern, können diese Methoden für sich ausprobieren, gemeinsam mit ihren Kindern.

Viele Erwachsene wollen Kinder vor dem Erleben von Trauer und Tod beschützen oder sie fernhalten. Denn der Tod ist für viele Erwachsene selbst schwer greifbar, die Trauer schwer aushaltbar oder das Thema wurde lange beiseitegeschoben. Dieser Schutz verhindert jedoch, dass Kinder wichtige Erfahrungen in ihrer Entwicklung machen und sie lernen, dass sie Abschied & Trauer nicht leben dürfen.

Die Frage nach dem ‚Wo?‘ ist eine der wichtigsten für Kinder. Noch immer weit verbreitet ist es, Kindern zu erzählen, dass der verstorbene Mensch ‚eingeschlafen‘ ist. Kinder können mit dieser Aussage die Endgültigkeit des Todes nicht begreifen, denn sie wissen: wer einschläft, wacht auch irgendwann wieder auf. So entwickeln sich nicht selten Ängste am Abend, wenn sie selbst einschlafen sollen oder Mama und Papa schlafen gehen wollen. Auch die Umschreibung, die verstorbene Person sei ‚auf eine lange Reise‘ gegangen, kann so manche Reiseplanung durcheinanderbringen, denn die Kinder lernen damit: wer auf Reisen geht, kommt nie wieder. Das Verstorbene Menschen nun ‚im Himmel sind‘, mag eine schöne und auch schützende Vorstellung sein, kann aber besonders für ältere Kinder und Jugendliche verstörend wirken, wenn sie beim nächsten Flug durch die Wolken feststellen, dass hinter den Wolken nichts kommt, was ihrer Vorstellung nahekommt.

Kinder erwarten wahre und ehrliche und je nach Alter des Kindes einfache und klare Antworten. Wir können den Kindern aufrichtig erklären, was wir wissen: dass das Herz aufgehört hat zu schlagen, dass der Mensch nicht mehr atmet. Dass er keine Reaktion mehr zeigen wird, selbst, wenn wir ihn kneifen oder schütteln würden. Dass der Körper des Menschen beerdigt oder verbrannt wird. Gemeinsam mit den Kindern können wir Orte, Momente oder Dinge kreieren, in denen wir uns an den verstorbenen Menschen mit seinem Wesen, seiner Seele, seiner Persönlichkeit und mit dem, was ihn ausgemacht hat, gern erinnern. Orte oder Momente, an denen wir an den Menschen denken, in denen wir uns mit ihm verbunden fühlen: ein hell leuchtender Stern am Himmel, einen besonderen Baum, ein friedlich fließender Fluss, Marienkäfer die uns begegnen. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt und gemeinsam mit den Kindern können Orte des Erinnerns, der Verbundenheit und der schönen Momente gefunden werden.

Häufig werden Kinder von vornherein von Beerdigungen ausgeschlossen. Kinder fehlt dann die Möglichkeit, sich vom verstorbenen Menschen zu verabschieden. Den nachträglichen Besuch eines Grabes können Kinder nicht in ihre Erfahrungswelt übernehmen: sie verstehen nicht, dass hier ein Mensch begraben wurde. Erwachsene sollten Kinder fragen, ob sie an der Beerdigung teilnehmen möchten. Um das entscheiden zu können, sollten Kinder auf Beerdigungen vorbereitet werden und erfahren dürfen, was bei der Beerdigung passiert: Wird ein Sarg herabgelassen oder wird die Asche (‚Wie passt der große Papa in die kleine Urne?‘) eines Menschen beigesetzt? Warum werden viele Menschen schwarze Kleidung tragen und weinen? Was bedeutet ‚Herzliches Beileid‘? Warum sitzen die Gäste anschließend noch beisammen und essen etwas? Sie sollten darauf vorbereitet werden, dass über den verstorbenen Menschen gesprochen und ein Foto zu sehen sein wird. Je detaillierter Kinder informiert werden, umso besser können sie entscheiden, ob sie teilnehmen möchten. Kindern hilft es auch, an den Vorbereitungen beteiligt zu werden: sie könnten mitentscheiden, welche Blumen als Schmuck gewählt werden oder welche Musik gespielt wird. Manche Kinder möchten selbst entscheiden, was sie anziehen möchten: das Fußballdress von Papas Lieblingsmannschaft oder das Kleid, was Oma immer so schön an ihr fand. Auch das sollte erlaubt sein.

Eine Beerdigung sollte aber auch der Ort und Moment sein, in welchem Erwachsene Abschied nehmen können. Deshalb ist es ratsam, eine begleitende Person, welche vom Verlust des verstorbenen Menschen nicht unmittelbar betroffen ist (ein guter Freund der Eltern oder ein vertrauter Erwachsener aus dem Freundeskreis) zu bitten, mitzukommen und für das Kind Schutz zu ermöglichen. Wenn das Kind merkt, dass es ihm zu viel ist und es die Trauerfeier verlassen möchte, kann es nach draußen begleitet werden, ohne dass die Eltern(-teile) in ihrer Trauer gestört werden. In dieser Person kann das Kind auch einen Ansprechpartner:in für Fragen finden, welche das Kind beschäftigen.

Nachdem von dem verstorbenen Menschen Abschied genommen werden konnte, ist es für alle hilfreich, gemeinsam Rituale zu finden um an den Verstorbenen zu denken, über ihn zu sprechen, sich Fotos anzuschauen oder über gemeinsame Erlebnisse zu erzählen. Jeder sollte für sich entscheiden dürfen, ob er dabei nur zuhören oder selbst etwas erzählen möchte und alle Gefühle dürfen da sein und Raum finden. Kinder brauchen oft greifbare Dinge: sie könnten etwa einen Gegenstand aus der Wohnung oder dem Besitz des Verstorbenen für sich erhalten. Eine weitere Idee ist es, ein Kuscheltier aus einem Lieblingskleidungsstück des verstorbenen Menschen für das Kind zu nähen. Gemeinsam könnten Orte besucht werden, mit denen schöne Erinnerungen an den Verstorbenen verbunden sind.

Aber auch Normalität und Alltag und ein gut strukturierter Tagesablauf geben Halt: der Besuch von Kindergarten und Schule stellt für Kinder meist ein Schutzraum dar, eine ‚trauerfreie Zone‘, in welcher sie ihren Interessen mit Freunden und dem Bedürfnis nachgehen können, einfach frei und fröhlich zu spielen und zu toben.

Trauer ist ein Prozess, der Zeit braucht und kein festgelegtes Ende hat.  Erwachsene meinen dann manchmal, dass ‚jetzt aber auch wieder gut ist mit traurig sein‘. Die Dauer der Trauer ist dabei nicht ausschlaggebend, wichtig ist das Trauer möglich ist und begleitet wird. Dafür gibt es in Sachsen in vielen großen und kleinen Städten Trauerbegleitungsgruppen für Kinder. Die wichtigste Erfahrung hier ist: Ich bin nicht alleine in meiner Trauer, anderen geht es genauso wie mir. Auch Themen wie Schuld oder unbeantwortet Fragen können hier einen anderen Raum finden, als vielleicht zuhause, wo Eltern und Erwachsene oft selbst in Trauer sind.

 

Literaturtipps:

Geht Sterben wieder vorbei? Antworten auf Kinderfragen zu Tod und Trauer‘: begleitet von der Geschichte von Marlene und Paul, die ihren Opa verlieren, werden in dem Buch zentrale und wichtige Fragen von Kindern rund um das Thema Tod, Trauer, Beerdigung kindgerecht, ehrlich und aufrichtig beantwortet. Dieses Buch ist eine klare Empfehlung für Erwachsene, welche Unterstützung benötigen, gute Worte und Antworten auf die Fragen von Kindern zu geben.

‚Leb wohl, lieber Dachs‘: Der alte Dachs stirbt, kurz bevor es Winter wird. Seine Freunde, die Tiere des Waldes, sind sehr traurig, aber mit dem letzten Schnee schmilzt auch ihre Traurigkeit: sie treffen sich am alten Dachsbau, erzählen sich, was sie vom alten Dachs gelernt haben und welche lustigen Erlebnisse sie mit ihm hatten.

‚Gelbe Blumen für Papa‘: Der Suizid des Papas wird in diesem Buch thematisiert. Das Buch begleitet die Kinder Tomke und Nina und deren Mutter durch den Trauerprozess und die vielen schweren Fragen, die entstehen, weil Papa wegen seiner Depression sein Leben beendet.

‚Wo gehst du hin, Opa?': Ein Bilderbuch über das letzte Geheimnis: Das Buch vermittelt auf liebevolle Weise sanfte Ideen auf die Frage, wohin es nach dem Tod geht, das letzte große Geheimnis und Abenteuer auf der Lebensreise.

 

Rat und Unterstützung:

https://www.wolfstraene.de/

https://www.johanniter.de/juh/lv-sn/rv-dresden/projekte/lacrima-dresden/

https://www.malteser-dresden.de/fileadmin/Files_sites/Regionen/NO/Dresden/Neues_Design/Hospizdienst_Trauerbegleitung/Dresden-Standort/Kindertrauertreff-2020.pdf

https://loewentraene.de/

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