Ratgeber

Achterbahn der Gefühle zwischen Hoffnung, Glück und Enttäuschung

Gloria Wintermann · 24.09.2021

S.Kobold - Fotolia

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Der Wunsch nach einem eigenen Kind hat in Deutschland wieder Fahrt aufgenommen. Doch nicht immer klappt es auf natürlichem Weg mit dem eigenen Nachwuchs. Laut Bundesfamilienministerium ist fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos und auf medizinische Hilfe angewiesen. Die moderne Reproduktionsmedizin ermöglicht es mittlerweile, dass der Traum vom eigenen Familienglück zur Wirklichkeit werden kann. Sie hält verschiedene Maßnahmen der künstlichen Befruchtung bereit, kann für die betroffenen Paare aber eine erhebliche körperliche, seelische und finanzielle Belastung bedeuten.
Kind+Kegel sprach mit Frau Dr. med. Maren Goeckenjan. Sie ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe mit Schwerpunkt Reproduktionsmedizin und leitet das Kinderwunschzentrum am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden.

WAS KANN ICH TUN, WENN ICH AUF NATÜRLICHEM WEG KEIN KIND BEKOMME?

Der erste Schritt ist, die medizinischen Ursachen abklären zu lassen. Die betroffenen Frauen und Männer brauchen eine gehörige Portion Mut, sich den Untersuchungen und dem Erkennen von Auffälligkeiten und Störungen zu stellen. Der Weg in die Kinderwunschbehandlung beginnt bei uns erstmal mit einem ausführlichen, unverbindlichen Beratungsgespräch. In diesem wird die individuelle Situation des Paares erfasst und gemeinsam ein Plan für die Kinderwunschbehandlung entwickelt.

WIE SIEHT DIE MEDIZINISCHE ABKLÄRUNG GENAU AUS?

Bei beiden Partnern erfolgt eine umfassende Diagnostik. Bei den Frauen werden Bluttests durchgeführt. Hormonwerte und Blutmarker können Anhaltspunkte für die Funktion der Hirnanhangsdrüse und die Eizellreserven in den Eierstöcken oder für bestimmte Erkrankungen wie bspw. Funktionsstörungen der Schilddrüse, Autoimmunerkrankungen u.a. liefern. Es folgen Ultraschallkontrollen von Gebärmutter, Eierstöcken und Eileiter im Zyklusverlauf. Eventuell schließen sich weitere Untersuchungen wie z.B. Gebärmutter-, Bauchspiegelungen sowie Testungen der Eierleiterdurchgängigkeit an. So können Verwachsungen, Infektionskrankheiten, Zysten im Bauchraum o.ä. als Ursachen ausgeschlossen werden. Für die Untersuchungen der Partner arbeiten wir mit speziell weiterqualifizierten Urologen zusammen, die sich den Mann genau anschauen. Zusätzlich werden Spermiogramme durchgeführt, die Auskunft über die Produktion und Qualität der lebenden Spermien im Ejakulat (zu Deutsch: Samenflüssigkeit) geben.

WAS PASSIERT NACH DER URSACHENABKLÄRUNG. WIE GEHT ES WEITER?

Das Vorgehen ist individuell sehr unterschiedlich. Störungen des Menstruationszyklus und des Eisprungs bei der Frau können mit Hormonbehandlungen verbessert werden. Hat der Mann bspw. zu wenige lebende oder bewegliche Samenzellen, können je nach Schwere der Einschränkung der Spermien entweder intrauterine Inseminationen (zu Deutsch: Befruchtung in der Gebärmutter) mit aufbereiteten Spermien oder als Maßnahmen der künstlichen Befruchtung eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) zum Einsatz kommen. Bei der ICSI wird eine Samenzelle des Mannes mit Hilfe einer feinen Pipette in das Innere (Cytoplasma) der weiblichen Eizelle gebracht. Das Ganze geschieht unter dem Mikroskop. Wenn mehrere Eizellen auf diese Weise befruchtet wurden, werden heute maximal zwei Embryonen in die Gebärmutter übertragen, um Mehrlingsschwangerschaften möglichst zu vermeiden. Bei guten Voraussetzungen, z.B. jüngeres Alter der Frau, ausreichende Eierstockreserve und gutes Ansprechen auf die hormonelle Behandlung vor Follikelpunktion (zu Deutsch: Eizellentnahme), liegt die Schwangerschaftsrate nach ICSI an unserem Zentrum bei mehr als 50 Prozent.

VON WELCHEN ZEITRÄUMEN SPRECHEN WIR?

Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten. Prinzipiell denken wir nicht in einem, sondern in mehreren Zyklen bis zum Eintritt einer Schwangerschaft. Für Vorbereitungszeit, Behandlungsversuch und Erholung sind jeweils etwa mit ein bis zwei Monaten, für einen kompletten Zyklus also mit drei bis sogar sechs Monaten zu rechnen.

WELCHE BELASTUNGEN MÜSSEN KINDERWUNSCHPAARE AUSHALTEN?

Während der gesamten Zeit der Kinderwunschbehandlung empfehlen wir betroffenen Paaren eine psychosoziale Mitbehandlung aufzusuchen, wenn die Belastungen groß werden. Besonders die Frauen sollten sich angesichts der aufgenommenen Strapazen ihre Zeit bis zum Schwangerschaftstest so angenehm wie möglich gestalten. Dabei ist die Unterstützung durch die Partner wichtig. Für Frauen bedeutet die künstliche Befruchtung eine Mehrfachbelastung. Auch wenn die Schwangerschaft nach künstlicher Befruchtung eingetreten ist, bleiben Sorgen und Ängste, vor allem die Sorge um die Gesundheit des Kindes.

WIE SIEHT ES MIT DEN KOSTEN AUS?

Pro Stimulationszyklus muss man für gesetzliche Versicherte mit Kosten von etwa 3.000 bis 3.500 € rechnen. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen unter bestimmten Voraussetzungen 50% der Kosten, manche Kassen auch mehr. Einige Bundesländer bieten gemäß der Initiative „Hilfe und Unterstützung bei ungewollter Kinderlosigkeit“ eine ergänzende finanzielle Unterstützung. Seit 2016 steht diese Förderung auch unverheirateten Paaren zu. Maßnahmen für Diagnostik und z.T. medikamentöse Therapie bei unerfülltem Kinderwunsch werden komplett von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

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