Kaleidoskop

Eine Hebamme im Interview

Maria Grahl (mg) · 02.11.2017

pixabay.com/jessicaerichsenkent

pixabay.com/jessicaerichsenkent

Seit Jahren steigt die Haftpflichtversicherung freiberuflicher Hebammen. Die höchste Prämie müssen Hebammen zahlen, die außerklinische Geburten anbieten. Aus diesem Grund legen immer mehr freiberufliche Hebammen die Geburtshilfe nieder. Was für Folgen hat das? Können Frauen in Dresden noch eine Hausgeburt haben? Kind +Kegel hat mit Hebamme Ina Pruskowsky gesprochen, die in Dresden arbeitet und noch Hausgeburten anbietet.

Seit wie vielen Jahren arbeiten Sie als Hebamme?

Seit zehn Jahren. Vorher habe ich studiert, fühlte mich damit aber nicht ausgefüllt. Nach der Geburt meiner zwei Kinder stand für mich dann fest: Das ist es! Meine Ausbildung absolvierte ich in Cottbus. Damals war es noch so, dass im Anschluss der Ausbildung kaum Hebammen übernommen wurden. Aktuell ist das ganz anders, da freuen sich die Kliniken über jede Hebamme, die bleibt. Damals war das, in Dresden jedenfalls, noch ganz anders. Da ich nicht in Cottbus bleiben wollte und auch keine Rückmeldung zu den vielen anderen Bewerbungen kam, die ich abgeschickt hatte, ging ich sofort in die Selbstständigkeit über. Böse war ich darüber aber nicht. Die Arbeit in einer Klinik sagte mir von Anfang an nicht wirklich zu.

Warum nicht?

Geburten in Kliniken werden zu stark im wirtschaftlichen Sektor angesiedelt. Eine spontane Geburt, die mitunter zwei Hebammen und eine Ärztin erforderlich macht, ist für eine Klinik nicht rentabel. Das ist kein Geheimnis, sondern ein Fakt. Doch so lange eine spontane, also vaginale, Geburt schlechter vergütet wird, als die „technische“ Lösung, sind wir von einer bedürfnisorientierten Zusammenarbeit mit der Gebärenden mitunter weit entfernt.

Seit wann bieten Sie Hausgeburten an?

Seit etwa acht Jahren. Pro Jahr sind es circa fünf, sechs Stück. Mein Hauptbrot sind die Vor- und Nachsorge von Schwangeren. Außerdem biete ich auch Vorbereitungs- und Rückbildungskurse an.

Hausgeburten gelten sicherer als Klinikgeburten. Können Sie das bestätigen?

Natürlich. Das liegt zum einen an der „Vorauswahl“, die wir treffen können bzw. müssen. So darf eine Hausgeburt z.B. nicht vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche aber auch nicht nach der vollendeten 42. Schwangerschaftswoche stattfinden. Weiterhin gibt es gewisse Risikofaktoren, die eine außerklinische Geburt unmöglich machen. Zu diesen Risikofaktoren zählen etwa Diabetes, Bluthochdruck oder eine ungünstige Lage der Plazenta. Auch eine Beckenendlage (wenn das Baby nicht mit dem Kopf sondern dem Po nach unten liegt) oder Mehrlingsschwangerschaften sprechen gegen eine Hausgeburt.

Zum anderen ist eine Hausgeburt deshalb sicherer, weil eine 1 zu 1-Betreuung stattfinden kann. Wenn ich mich nicht parallel noch um andere Gebärende kümmern und zwischen mehreren Kreißsälen hin und her laufen muss, begünstigt das natürlich eine optimale Versorgung. Es wird außerdem ein Zusammenhang vermutet, dass einige Komplikationen in Kliniken durch Interventionen, also z.B. Einleitungen, PDAs oder andere Medikamentengaben, erst hervorgerufen werden.

Ist Ihnen trotz allem auch mal eine „schlimme“ Hausgeburt widerfahren?

Ja, auch dazu muss man offen stehen. In den acht Jahren, die ich außerklinisch Geburten betreue, musste ich drei Frauen in eine Klinik verlegen. Zwar weiß die Frau vorher, dass das passieren kann. Aber natürlich wünscht man sich das nicht. Als Hebamme muss man einschätzen können, wann eine Verlegung angebracht ist. Es ist übrigens immer alles gut ausgegangen.

Welche Frauen melden sich bei Ihnen?

Es sind überwiegend die Frauen, die schon mindestens ein Kind haben. Meistens haben sie in der Klinik schlechte Erfahrungen gemacht und wünschen sich deshalb die nächste Entbindung selbstbestimmt in einer anderen Atmosphäre.

Wie viele Stunden pro Woche arbeiten Sie? Wie viele Tage Urlaub gönnen Sie sich? Empfinden Sie ihr Nettoeinkommen gerecht?

Im Jahresschnitt komme ich vermutlich auf 35 – 40 Stunden pro Woche. Da ist der Papierkram aber noch nicht mit drin. Urlaub gönne ich mir vermutlich nicht so viel, wie mir in einem Angestelltenverhältnis zustehen würde. Die Frage nach dem gerechten Nettoeinkommen kann ich pauschal nicht beantworten. Würde ich ausschließlich Vor- und Nachsorgen anbieten, wäre es okay. Die Kurse bringen, abzüglich der Raummiete, meistens eine Null. Und mit den Hausgeburten fährt man wegen der hohen Versicherung eher ein Minus ein.

Warum bieten Sie dann trotzdem Kurse und Geburten an?

Mir ist das „Rundum-Paket“ wichtig. Und die Geburten sind für mich das Highlight meiner Arbeit und mir die hohe Prämie wert.

Ist das Wahlrecht, wo Frau ihr Kind bekommt, in Dresden noch gewährleistet?

Ja, definitiv. Egal, was eine Frau möchte, sie kann es noch bekommen. Oberste Priorität ist aber, sich frühzeitig zu kümmern. Das gilt nicht nur für eine Hausgeburt, sondern auch für die Nachsorge. Ich kann persönlich verstehen, wenn eine Frau lieber bis nach der 12. Woche warten möchte. Jedoch kann es dann manchmal schon zu spät für die „Wunschhebamme“ sein. Hier muss Frau also abwägen.

Man liest in letzter Zeit öfter den Begriff „moderne Hexenverbrennung“. Finden Sie sich in dieser Aussage wieder?

Nein. Den außerklinischen Geburten geht es zwar mitunter an den Kragen, aber der Hebammenberuf selbst ist in meiner Wahrnehmung nicht in Gefahr.

Was ärgert Sie an der derzeitigen Lage am meisten?

Der zunehmend pathologische Umgang mit schwangeren und gebärenden Frauen, den das Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus einfordert. So lange eine Geburt Geld einbringen muss, um sich zu rechnen, werden wir Probleme haben und die Kaiserschnitt-Zahlen langfristig weiter steigen. Den werdenden Eltern wird suggeriert, ein gesundes Kind könne man sich kaufen, wenn man nur genügend Tests absolviert hat und sich in eine Klinik mit medizinischer Maximalversorgung begibt. Dabei ist das selbst im Jahr 2017 noch nicht möglich und wird es auch nie sein.

Höhe Versicherungsprämie: Eine Hebamme, die außerklinische Geburten anbietet, muss seit 2017 7.600 Euro Haftpflichtversicherung zahlen. Zum Vergleich: 1989 zahlten sie 100 DM.

Warum ist die Höhe der Versicherungssumme so gestiegen?
Es gibt nicht mehr Schadensfälle. Allerdings kosten Schadensfälle heute erheblich mehr, da die medizinische Versorgung immer besser wird und geschädigten Personen länger leben. Dadurch sind die Pflegekosten enorm gestiegen. Das baden die Hebammen mit den teuren Prämien zum Teil aus.

Wie viele Hausgeburten müsste eine Hebamme im Jahr betreuen, um die Prämie zu zahlen?
An einer Hausgeburt verdient eine Hebamme zwischen 640 und 780 Euro. Das heißt, sie müsste zehn bis zwölf Geburten betreuen, um nur die Versicherung zahlen zu können.

Neu ist ein Sicherstellungszuschlag, den die Hebammen unter bestimmten Voraussetzungen beziehen können und sie teilweise entlastet.

Wie viele Hausgeburten gibt es pro Jahr in Deutschland und in Sachsen?
Die Quote außerklinischer Geburten liegt seit Jahren zwischen 1 und 1,5 Prozent. Auf www.quag.de kann man die Statistiken der letzten Jahre einsehen. Demnach kamen 2015 in Deutschland 9.562 Kinder nicht in einer Klinik zur Welt. In Sachsen gab es 2015 359 Hausgeburten und 539 Geburten im Geburtshaus.

Wie viele Kaiserschnitte gibt es in Deutschland?
Die Kaiserschnittrate liegt derzeit bei 30,5 Prozent. Das heißt, fast jedes dritte Kind kommt in Deutschland per Kaiserschnitt zur Welt. Die Zahl hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Sachsen steht mit 23,8 Prozent im bundesweiten Vergleich am besten da. Schlusslicht ist das Saarland mit 38,4 Prozent.

Verlegungsrate bei außerklinischen Geburten ins Krankenhaus:
Etwa 15 Prozent der Gebärenden müssen unter der Geburt ins Krankenhaus verlegt werden. Ein Großteil entbindet trotzdem noch spontan.

 

Kategorien: Kaleidoskop , Ratgeber

© 2024 Kind + Kegel WORTGEWAND GmbH